Auszug/Zitat/Quelle

Engels zur Entstehung heiliger Schriften


aus einem Brief an Karl Marx vom Mai 1853

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FRIEDRICH ENGELS

[Zur Entstehung heiliger Schriften]

Gestern habe ich das Buch über die arabischen Inschriften gelesen, wovon ich Dir sprach. Das Ding ist nicht uninteressant, so eklig der Pfaff und Bibelapologet überall durchblickt. Sein höchster Triumph ist, dem Gibbon einige Schnitzer in der alten Geographie nachweisen zu können und davon auch auf die Verwerflichkeit der Gibbonschen Theologie zu schließen. Das Ding heißt: The historical Geography of Arabia by the Reverend Charles Forster. Das beste, was dabei herauskommt, ist:

1. Die in der Genesis angegebene Genealogie von Noah, Abraham usw. ist eine ziemlich exakte Aufzählung der damaligen Beduinenstämme je nach ihrer größeren oder geringeren Dialektverwandschaft usw. Die Beduinenstämme nennen sich bekanntlich bis heute immer Beni Saled, Beni Jussuf usw., d. h. die Söhne von dem und dem. Diese Benennung, aus der altpatriarchalischen Existenzweise hervorgehend, führt schließlich auf diese Art Genealogie. Die Aufzählung der Genesis wird plus ou moins [mehr oder weniger] bestätigt durch die alten Geographen, und die neueren Reisenden beweisen, daß die alten Namen, dialektisch verändert, meist noch existieren. Dabei kommt aber heraus, daß die Juden selbst weiter nichts sind als ein kleiner Beduinenstamm wie die andern, den Lokalverhältnisse, Agrikultur usw. in Gegensatz zu den anderen Beduinen brachten.

2. In Beziehung auf die große arabische Invasion, von der wir früher sprachen: daß die Beduinen grade wie die Mongolen periodische Invasionen gemacht haben, daß das assyrische Reich und das babylonische durch Beduinenstämme gegründet sind, auf demselben Fleck wie später das Kalifat von Bagdad. Die Gründer des babylonischen Reichs, die Chaldäer, existieren noch unter demselben Namen, Beni Chaled, in derselben Lokalität. Die rasche Herstellung großer Städte, Ninive und Babylon, ist genauso geschehen wie noch von 300 Jahren die Schöpfung von ähnlichen Riesenstädten, Agra, Delhi, Lahora, Muttan, in Ostindien durch die afghanische resp. tatarische Invasion. Damit verliert die mohameddanische Invasion viel von ihrem distinktiven Charakter.

3. Die Araber scheinen, wo sie ansässig waren, im Südwesten, ein ebenso zivilisiertes Volk gewesen zu sein wie die Ägypter, Assyrer usw., ihre Bauwerke beweisen das. Auch das erklärt manches in der mohammedanischen Invasion. Was den Religionsschwindel angeht, so scheint aus den alten Inschriften im Süden, in denen die altnational-arabische Tradition des Monotheismus (wie bei den amerikanischen Indianern) noch vorherrscht, und von der hebräischen nur ein kleiner Teil ist, hervorzugehen, daß Mohammeds religiöse Revolution, wie jede religiöse Bewegung, formell eine Reaktion war, vorgebliche Rückkehr zum Alten, Einfachen.

Daß die jüdische sogenannte heilige Schrift weiter nichts ist als die Aufzeichnung der altarabischen religiösen und Stammtradition, modifiziert durch die frühe Separation der Juden von ihren stammverwandten, aber nomadischen Nachbarn, ist mir jetzt völlig klar. Der Umstand, daß Palästina nach der arabischen Seite zu von lauter Wüste, Beduinenland, umgeben, erklärt die separate Entwicklung. Aber die altarabischen Inschriften, Traditionen und der Koran sowie die Leichtigkeit, mit der sich nun alle Genealogien usw. auflösen lassen, beweisen, daß der Hauptinhalt arabisch oder vielmehr allgemein semitisch war, wie noch bei uns die Edda und die deutsche Heldensage.

in: Geheimnisse der Religion. Eine Anthologie. Berlin 1958

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